Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen ...

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Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen ...

Beitrag von WernerSchell » 05.03.2020, 07:27

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen (Quelle: Urteil des BVerfG vom 26.02.2020). - Urteilsschrift, Leitsätze und Pressemitteilung des BVerfG informieren über die entsprechenden Grundsätze, die von Staat und Gesellschaft zu respektieren sind!

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http://www.wernerschell.de/forum/neu/vi ... 86#p112486
http://www.wernerschell.de/forum/neu/vi ... =2&t=23485 ( = zahlreiche Einzelbeiträge)
http://www.wernerschell.de/forum/neu/vi ... 850#p94850 (Hinweise zu früheren Einschätzungen)


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Pressemitteilung Nr. 12/2020 vom 26. Februar 2020

Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verfassungswidrig

Urteil vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15, 2 BvR 651/16, 2 BvR 1261/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 2354/16, 2 BvR 2527/16 >>> https://www.bundesverfassungsgericht.de ... 34715.html

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Die in Wahrnehmung dieses Rechts getroffene Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren. Mit dieser Begründung hat der Zweite Senat mit Urteil vom heutigen Tage entschieden, dass das in § 217 des Strafgesetzbuchs (StGB) normierte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung gegen das Grundgesetz verstößt und nichtig ist, weil es die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung faktisch weitgehend entleert. Hieraus folgt nicht, dass es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen untersagt ist, die Suizidhilfe zu regulieren. Er muss dabei aber sicherstellen, dass dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung verbleibt.

Sachverhalt:

§ 217 StGB (Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung) bedroht denjenigen mit Strafe, der in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt. Hiergegen wenden sich unter anderem Vereine mit Sitz in Deutschland und in der Schweiz, die Suizidhilfe anbieten, schwer erkrankte Personen, die ihr Leben mit Hilfe eines solchen Vereins beenden möchten, in der ambulanten oder stationären Patientenversorgung tätige Ärzte sowie im Bereich suizidbezogener Beratung tätige Rechtsanwälte.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

I. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) von zur Selbsttötung entschlossenen Menschen in seiner Ausprägung als Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Das gilt auch dann, wenn die Regelung in enger Auslegung ausschließlich die von Wiederholungsabsicht getragene Förderung einer Selbsttötung als Akt eigenhändiger Beendigung des eigenen Lebens erfasst.

1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.

a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet das Recht, selbstbestimmt die Entscheidung zu treffen, sein Leben eigenhändig bewusst und gewollt zu beenden.

aa) Die Achtung und der Schutz der Menschenwürde und der Freiheit sind grundlegende Prinzipien der Verfassungsordnung, die den Menschen als eine zu Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fähige Person begreift. Von der Vorstellung ausgehend, dass der Mensch in Freiheit sich selbst bestimmt und entfaltet, umfasst die Garantie der Menschenwürde insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität. Die unverlierbare Würde des Menschen als Person besteht hiernach darin, dass er stets als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt. Dieser Gedanke autonomer Selbstbestimmung wird in den Gewährleistungsgehalten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts näher konkretisiert. Es sichert die Grundbedingungen dafür, dass der Einzelne seine Identität und Individualität selbstbestimmt finden, entwickeln und wahren kann.

Die selbstbestimmte Wahrung der eigenen Persönlichkeit setzt voraus, dass der Mensch über sich nach eigenen Maßstäben verfügen kann und nicht in Lebensformen gedrängt wird, die in unauflösbarem Widerspruch zum eigenen Selbstbild und Selbstverständnis stehen. Die Entscheidung, das eigene Leben zu beenden, ist von existentieller Bedeutung für die Persönlichkeit eines Menschen. Welchen Sinn der Einzelne in seinem Leben sieht und ob und aus welchen Gründen er sich vorstellen kann, sein Leben selbst zu beenden, unterliegt höchstpersönlichen Vorstellungen und Überzeugungen. Der Entschluss zur Selbsttötung betrifft Grundfragen menschlichen Daseins und berührt wie keine andere Entscheidung Identität und Individualität des Menschen. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst deshalb nicht nur das Recht, nach freiem Willen lebenserhaltende Maßnahmen abzulehnen. Es erstreckt sich auch auf die Entscheidung des Einzelnen, sein Leben eigenhändig zu beenden.

bb) Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist nicht auf fremddefinierte Situationen wie schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt. Es besteht in jeder Phase menschlicher Existenz. Eine Einengung des Schutzbereichs auf bestimmte Ursachen und Motive liefe auf eine Bewertung der Beweggründe des zur Selbsttötung Entschlossenen und auf eine inhaltliche Vorbestimmung hinaus, die dem Freiheitsgedanken des Grundgesetzes fremd ist. Die Entscheidung des Einzelnen, dem eigenen Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, entzieht sich einer Bewertung anhand allgemeiner Wertvorstellungen, religiöser Gebote, gesellschaftlicher Leitbilder für den Umgang mit Leben und Tod oder Überlegungen objektiver Vernünftigkeit. Sie bedarf keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung, sondern ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.

cc) Das Recht, sich selbst zu töten, kann nicht mit der Begründung verneint werden, dass sich der Suizident seiner Würde begibt, weil er mit seinem Leben zugleich die Voraussetzung seiner Selbstbestimmung aufgibt. Die selbstbestimmte Verfügung über das eigene Leben ist vielmehr unmittelbarer Ausdruck der der Menschenwürde innewohnenden Idee autonomer Persönlichkeitsentfaltung; sie ist, wenngleich letzter, Ausdruck von Würde.

b) Das Recht, sich selbst zu töten, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. Das Grundgesetz gewährleistet die Entfaltung der Persönlichkeit im Austausch mit Dritten, die ihrerseits in Freiheit handeln. Ist die Wahrnehmung eines Grundrechts von der Einbeziehung Dritter abhängig und hängt die freie Persönlichkeitsentfaltung an der Mitwirkung eines anderen, schützt das Grundrecht auch davor, dass es nicht durch ein Verbot gegenüber Dritten, im Rahmen ihrer Freiheit Unterstützung anzubieten, beschränkt wird.

2. § 217 StGB greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Sterbewilliger ein, auch wenn diese nicht unmittelbare Adressaten der Norm sind. Auch staatliche Maßnahmen, die eine mittelbare oder faktische Wirkung entfalten, können Grundrechte beeinträchtigen, wenn sie in ihrer Zielsetzung und Wirkung einem normativen und direkten Eingriff gleichkommen, und müssen dann von Verfassungs wegen hinreichend gerechtfertigt sein. Das in § 217 Abs. 1 StGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung entfaltet eine objektiv die Freiheit zum Suizid einschränkende Wirkung. Es macht es dem Einzelnen faktisch weitgehend unmöglich, Suizidhilfe zu erhalten. Diese Einschränkung individueller Freiheit ist von der Zweckrichtung des Verbots bewusst umfasst und begründet einen Eingriff auch gegenüber suizidwilligen Personen. Angesichts der existentiellen Bedeutung, die der Selbstbestimmung über das eigene Leben für die personale Identität, Individualität und Integrität zukommt, wiegt der Eingriff besonders schwer.

3. Der Eingriff ist nicht gerechtfertigt. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ist am Maßstab strikter Verhältnismäßigkeit zu messen. Diesem genügt ein grundrechtseinschränkendes Gesetz nur, wenn es legitime Zwecke verfolgt, geeignet und erforderlich ist, diese zu erreichen, und die von ihm ausgehenden Einschränkungen hierzu in angemessenem Verhältnis stehen.

a) Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung einen legitimen Zweck.

aa) Die Regelung dient dazu, die Selbstbestimmung des Einzelnen über sein Leben und hierdurch das Leben als solches zu schützen.

Mit diesen Zielen des Autonomie- und des Lebensschutzes dient das Verbot des § 217 StGB der Erfüllung einer in der Verfassung begründeten staatlichen Schutzpflicht und damit einem legitimen Zweck. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichten den Staat, die Autonomie des Einzelnen bei der Entscheidung über die Beendigung seines Lebens und hierdurch das Leben als solches zu schützen. In Wahrnehmung dieser Schutzpflicht ist der Gesetzgeber nicht nur berechtigt, konkret drohenden Gefahren für die persönliche Autonomie von Seiten Dritter entgegenzuwirken. Er verfolgt auch insoweit ein legitimes Anliegen, als er verhindern will, dass sich der assistierte Suizid in der Gesellschaft als normale Form der Lebensbeendigung durchsetzt. Er darf einer Entwicklung entgegensteuern, welche die Entstehung sozialer Pressionen befördert, sich unter bestimmten Bedingungen, etwa aus Nützlichkeitserwägungen, das Leben zu nehmen.

bb) Die Annahme des Gesetzgebers, das Angebot geschäftsmäßiger Suizidhilfe berge Gefahren für die Selbstbestimmung, beruht auf einer von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden Grundlage.

(1) Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über die langfristigen Auswirkungen der Zulassung geschäftsmäßiger Suizidhilfe existieren nicht. Bei dieser Sachlage reicht es aus, wenn sich der Gesetzgeber an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung der ihm verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten orientiert hat.

(2) Danach hält die Gefahrenprognose des Gesetzgebers einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung hat sich die Einschätzung des Gesetzgebers, dass die bisherige Praxis geschäftsmäßiger Suizidhilfe in Deutschland nicht geeignet war, die Willens- und damit die Selbstbestimmungsfreiheit in jedem Fall zu wahren, jedenfalls als vertretbar erwiesen. Die Prüfung, ob ein Suizidwunsch auf einen freien Willen zurückgeht, erfolgte oftmals auf der Grundlage nicht näher nachvollziehbarer Plausibilitätsgesichtspunkte; insbesondere wurde von Sterbehilfeorganisationen bei Vorliegen körperlicher oder psychischer Erkrankungen auch ohne Kenntnis der medizinischen Unterlagen des Sterbewilligen und ohne Sicherstellung einer fachärztlichen Untersuchung, Beratung und Aufklärung Suizidhilfe geleistet. Die Annahme des Gesetzgebers, dass bei einer Einbeziehung geschäftsmäßig handelnder Suizidhelfer Leistungen im Vordergrund stehen, die der Durchführung des Suizids dienen, und deshalb die freie Willensbildung und die Entscheidungsfindung nicht hinreichend sichergestellt sind, ist hiernach plausibel.

Auch die Einschätzung des Gesetzgebers, dass geschäftsmäßige Suizidhilfe zu einer „gesellschaftlichen Normalisierung“ der Suizidhilfe führen und sich der assistierte Suizid als normale Form der Lebensbeendigung insbesondere für alte und kranke Menschen etablieren könne, die geeignet sei, autonomiegefährdende soziale Pressionen auszuüben, ist nachvollziehbar. In Ländern mit liberalen Regelungen zur Suizid- und Sterbehilfe ist ein stetiger Anstieg assistierter Selbsttötungen und von Tötungen auf Verlangen zu verzeichnen. Dieser Anstieg ist für sich genommen zwar kein Nachweis für eine gesellschaftliche Normalisierung und autonomiegefährdenden sozialen Druck. Er kann auch mit einer größeren Akzeptanz der Sterbe- und Suizidhilfe in der Gesellschaft, der Stärkung des Selbstbestimmungsrechts oder dem gewachsenen Bewusstsein erklärt werden, dass der eigene Tod nicht mehr als unbeeinflussbares Schicksal hingenommen werden muss. Gleichwohl durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass von einem unregulierten Angebot geschäftsmäßiger Suizidhilfe Gefahren für die Selbstbestimmung ausgehen können. Dies gilt – angesichts des steigenden Kostendrucks in den Pflege- und Gesundheitssystemen – insbesondere vor dem Hintergrund, dass Versorgungslücken in der Medizin und der Pflege geeignet sind, Ängste vor dem Verlust der Selbstbestimmung hervorzurufen und dadurch Suizidentschlüsse zu fördern. Auch die einem Suizid häufig zugrundeliegende Motivationslage stützt die Einschätzung des Gesetzgebers. Häufiges Motiv für einen assistierten Suizid ist ausweislich von Untersuchungen im In- und Ausland der Wunsch, Angehörigen oder Dritten nicht zur Last zu fallen.

b) Die Regelung des § 217 StGB stellt als Strafnorm grundsätzlich auch ein geeignetes Instrument des Rechtsgüterschutzes dar, weil das strafbewehrte Verbot gefahrträchtiger Handlungsweisen den erstrebten Rechtsgüterschutz zumindest fördern kann.

c) Ob die Regelung erforderlich ist, um die legitimen Schutzanliegen des Gesetzgebers zu erreichen, kann offenbleiben. Die von der Vorschrift ausgehende Einschränkung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben ist jedenfalls nicht angemessen.

aa) Angemessen ist eine Freiheitseinschränkung nur dann, wenn das Maß der Belastung des Einzelnen noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen steht. Hierbei müssen die Interessen des Gemeinwohls desto gewichtiger sein, je empfindlicher der Einzelne in seiner Freiheit beeinträchtigt wird. Andererseits wird der Gemeinschaftsschutz desto dringlicher, je größer die Nachteile und Gefahren sind, die aus gänzlich freier Grundrechtsausübung erwachsen können. Dabei unterliegt die Entscheidung des Gesetzgebers einer hohen Kontrolldichte, wenn schwere Grundrechtseingriffe in Frage stehen. Die existentielle Bedeutung, die der Selbstbestimmung speziell für die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität im Umgang mit dem eigenen Leben zukommt, legt dem Gesetzgeber daher strenge Bindungen bei der normativen Ausgestaltung eines Schutzkonzepts im Zusammenhang mit der Suizidhilfe auf.

bb) Mit dem Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung hat der Gesetzgeber diese Bindungen überschritten.

(1) Der hohe verfassungsrechtliche Rang der Rechtsgüter Autonomie und Leben, die § 217 StGB schützen will, kann den Einsatz des Strafrechts zwar grundsätzlich legitimieren. Bei der staatlichen Aufgabe, ein geordnetes menschliches Zusammenleben durch Schutz der elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schaffen, zu sichern und durchzusetzen, kommt dem Strafrecht eine unverzichtbare Funktion zu. Im Einzelfall kann es die Schutzpflicht des Staates insbesondere gebieten, rechtliche Regelungen so auszugestalten, dass bereits die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedämmt wird.

Der legitime Einsatz des Strafrechts zum Schutz der autonomen Entscheidung des Einzelnen über die Beendigung seines Lebens findet seine Grenze aber dort, wo die freie Entscheidung nicht mehr geschützt, sondern unmöglich gemacht wird. Die Straflosigkeit der Selbsttötung und der Hilfe dazu steht als Ausdruck der verfassungsrechtlich gebotenen Anerkennung individueller Selbstbestimmung nicht zur freien Disposition des Gesetzgebers. Der Verfassungsordnung des Grundgesetzes liegt ein Menschenbild zugrunde, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung bestimmt ist. Dieses Menschenbild hat Ausgangspunkt jedes regulatorischen Ansatzes zu sein. Die staatliche Schutzpflicht zugunsten der Selbstbestimmung und des Lebens kann folgerichtig erst dort gegenüber dem Freiheitsrecht des Einzelnen den Vorrang erhalten, wo dieser Einflüssen ausgeliefert ist, die die Selbstbestimmung über das eigene Leben gefährden. Diesen Einflüssen darf die Rechtsordnung durch Vorsorge und durch Sicherungsinstrumente entgegentreten. Jenseits dessen ist die Entscheidung des Einzelnen, entsprechend seinem Verständnis von der Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz dem Leben ein Ende zu setzen, hingegen als Akt autonomer Selbstbestimmung anzuerkennen.

Die Anerkennung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben versagt dem Gesetzgeber demnach nicht, allgemeine Suizidprävention zu betreiben und insbesondere krankheitsbedingten Selbsttötungswünschen durch Ausbau und Stärkung palliativmedizinischer Behandlungsangebote entgegenzuwirken. Er muss auch denjenigen Gefahren für die Autonomie und das Leben entgegentreten, die in den gegenwärtigen und absehbaren realen Lebensverhältnissen begründet liegen und eine Entscheidung des Einzelnen für die Selbsttötung und gegen das Leben beeinflussen können. Dieser sozialpolitischen Verpflichtung darf der Gesetzgeber sich aber nicht dadurch entziehen, dass er das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Selbstbestimmung außer Kraft setzt. Dem Einzelnen muss die Freiheit verbleiben, auf die Erhaltung des Lebens zielende Angebote auszuschlagen und eine seinem Verständnis von der Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz entspringende Entscheidung, das eigene Leben mit Hilfe Dritter zu beenden, umzusetzen. Ein gegen die Autonomie gerichteter Lebensschutz widerspricht dem Selbstverständnis einer Gemeinschaft, in der die Würde des Menschen im Mittelpunkt der Werteordnung steht, und die sich damit zur Achtung und zum Schutz der freien menschlichen Persönlichkeit als oberstem Wert ihrer Verfassung verpflichtet.

(2) Diesen verfassungsrechtlich zwingend zu wahrenden Entfaltungsraum autonomer Selbstbestimmung verletzt das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Es führt im Gefüge mit der bei seiner Einführung vorgefundenen Gesetzeslage dazu, dass das Recht auf Selbsttötung in weiten Teilen faktisch entleert ist. Die Regelung des § 217 StGB ist zwar auf eine bestimmte – die geschäftsmäßige – Form der Förderung der Selbsttötung beschränkt. Auch der damit einhergehende Verlust an Autonomie ist aber jedenfalls so weit und so lange unverhältnismäßig, wie verbleibende Optionen nur eine theoretische, nicht aber die tatsächliche Aussicht auf Selbstbestimmung bieten.

(a) Die autonomiefeindliche Wirkung des § 217 StGB wird gerade dadurch intensiviert, dass dem Einzelnen in vielen Situationen jenseits geschäftsmäßiger Angebote der Suizidhilfe keine verlässlichen realen Möglichkeiten verbleiben, einen Entschluss zur Selbsttötung umzusetzen. Die nach § 217 StGB bei enger Auslegung straffrei verbleibende Suizidhilfe im Einzelfall verhilft der verfassungsrechtlich gebotenen Selbstbestimmung am Lebensende nicht hinreichend zur Durchsetzung. Die stillschweigende Annahme des Gesetzgebers, Möglichkeiten zur assistierten Selbsttötung seien außerhalb geschäftsmäßiger Angebote tatsächlich verfügbar, nimmt nicht die Einheit der Rechtsordnung in Bedacht. Schließt der Gesetzgeber bestimmte Formen der Freiheitsausübung unter Verweis auf fortbestehende Alternativen aus, so müssen die verbleibenden Handlungsoptionen zur Grundrechtsverwirklichung auch tatsächlich geeignet sein. Dies gilt im Besonderen für das Recht auf Selbsttötung. Hier ist bereits die individuelle Gewissheit identitätsstiftend, tatsächlich eigener Vorstellung entsprechend handeln zu können.

Dem wird der Verzicht auf ein umfassendes strafrechtliches Verbot der Suizidhilfe allein nicht gerecht. Ohne geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe ist der Einzelne maßgeblich auf die individuelle Bereitschaft eines Arztes angewiesen, an einer Selbsttötung zumindest durch Verschreibung der benötigten Wirkstoffe assistierend mitzuwirken. Von einer solchen individuellen ärztlichen Bereitschaft wird man bei realistischer Betrachtungsweise nur im Ausnahmefall ausgehen können. Ärzte zeigen bislang eine geringe Bereitschaft, Suizidhilfe zu leisten, und können hierzu auch nicht verpflichtet werden; aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben leitet sich kein Anspruch gegenüber Dritten auf Suizidhilfe ab. Zudem setzt das ärztliche Berufsrecht der Bereitschaft, Suizidhilfe zu leisten, weitere Grenzen. Die in den Berufsordnungen der meisten Landesärztekammern festgeschriebenen berufsrechtlichen Verbote ärztlicher Suizidhilfe unterstellen die Verwirklichung der Selbstbestimmung des Einzelnen nicht nur geografischen Zufälligkeiten, sondern wirken zumindest faktisch handlungsleitend. Der Zugang zu Möglichkeiten der assistierten Selbsttötung darf aber nicht davon abhängen, dass Ärzte sich bereit zeigen, ihr Handeln nicht am geschriebenen Recht auszurichten, sondern sich unter Berufung auf ihre eigene verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit eigenmächtig darüber hinwegsetzen. Solange diese Situation fortbesteht, schafft sie einen tatsächlichen Bedarf nach geschäftsmäßigen Angeboten der Suizidhilfe.

(b) Verbesserungen der palliativmedizinischen Patientenversorgung sind ebenso wenig geeignet, eine unverhältnismäßige Beschränkung der individuellen Selbstbestimmung auszugleichen. Sie mögen bestehende Defizite beseitigen und hierdurch geeignet sein, die Zahl darauf zurückzuführender Sterbewünsche todkranker Menschen zu reduzieren. Sie sind aber kein Korrektiv zur Beschränkung in freier Selbstbestimmung gefasster Selbsttötungsentschlüsse. Eine Pflicht zur Inanspruchnahme palliativmedizinischer Behandlung besteht nicht. Die Entscheidung für die Beendigung des eigenen Lebens umfasst zugleich die Entscheidung gegen bestehende Alternativen und ist auch insoweit als Akt autonomer Selbstbestimmung zu akzeptieren.

(c) Die staatliche Gemeinschaft darf den Einzelnen zudem nicht auf die Möglichkeit verweisen, im Ausland Angebote der Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen. Der Staat muss den erforderlichen Grundrechtsschutz gemäß Art. 1 Abs. 3 GG innerhalb der eigenen Rechtsordnung gewährleisten.

(3) Schließlich sind Aspekte des Schutzes Dritter nicht geeignet, die von § 217 StGB ausgehende Beschränkung individueller Selbstbestimmung zu rechtfertigen. Der Einzelne muss sich zwar diejenigen Schranken grundrechtlicher Freiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht. Allerdings muss dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleiben. Anliegen des Schutzes Dritter wie die Vermeidung von Nachahmungseffekten rechtfertigen nicht, dass der Einzelne die faktische Entleerung des Rechts auf Selbsttötung hinnehmen muss.

4. Diese Bewertung steht im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte formulierten konventionsrechtlichen Wertungen.

II. § 217 StGB verletzt zudem Grundrechte von Personen und Vereinigungen, die Suizidhilfe leisten möchten. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verstößt aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht von selbstbestimmt zur Selbsttötung entschlossenen Personen gegen objektives Verfassungsrecht und ist infolgedessen auch gegenüber unmittelbaren Normadressaten nichtig. Der verfassungsrechtliche Schutz des durch § 217 StGB unter Strafe gestellten Handelns ergibt sich aus einer funktionalen Verschränkung der Grundrechte von Suizidhilfe leistenden Personen und Vereinigungen, insbesondere aus Art. 12 Abs. 1 GG oder subsidiär Art. 2 Abs. 1 GG, mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Die Entscheidung zur Selbsttötung ist in ihrer Umsetzung nicht nur in tatsächlicher Hinsicht davon abhängig, dass Dritte bereit sind, Gelegenheit zur Selbsttötung zu gewähren, zu verschaffen oder zu vermitteln. Die Dritten müssen ihre Bereitschaft zur Suizidhilfe auch rechtlich umsetzen dürfen. Der Gewährleistung des Rechts auf Selbsttötung korrespondiert daher auch ein entsprechend weitreichender grundrechtlicher Schutz des Handelns von Suizidassistenten.

Mit der Androhung einer Freiheitsstrafe verletzt das Verbot des § 217 StGB Suizidhelfer, die als natürliche Personen unmittelbare Normadressaten sind, zudem in ihrem Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG. Eine mögliche, an die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung geknüpfte Bußgeldbewehrung verletzt deutsche Sterbehilfevereine in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG.

III. § 217 StGB ist wegen der festgestellten Verfassungsverstöße für nichtig zu erklären. Eine einschränkende verfassungskonforme Auslegung ist nicht möglich, weil sie den Absichten des Gesetzgebers zuwiderliefe.

Daraus folgt nicht, dass der Gesetzgeber die Suizidhilfe nicht regulieren darf. Eine solche Regelung muss sich aber an der Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen ausrichten, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten. Zum Schutz der Selbstbestimmung über das eigene Leben steht dem Gesetzgeber in Bezug auf organisierte Suizidhilfe ein breites Spektrum an Möglichkeiten offen. Sie reichen von prozeduralen Sicherungsmechanismen, etwa gesetzlich festgeschriebener Aufklärungs- und Wartepflichten, über Erlaubnisvorbehalte, die die Zuverlässigkeit von Suizidhilfeangeboten sichern, bis zu Verboten besonders gefahrträchtiger Erscheinungsformen der Suizidhilfe. Diese können auch im Strafrecht verankert oder jedenfalls durch strafrechtliche Sanktionierung von Verstößen abgesichert werden. Das Recht auf Selbsttötung verbietet es aber, die Zulässigkeit einer Hilfe zur Selbsttötung materiellen Kriterien zu unterwerfen, sie etwa vom Vorliegen einer unheilbaren Krankheit abhängig zu machen. Dennoch können je nach Lebenssituation unterschiedliche Anforderungen an den Nachweis der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit eines Selbsttötungswillens gestellt werden. Allerdings muss dem Recht des Einzelnen, aufgrund freier Entscheidung mit Unterstützung Dritter aus dem Leben zu scheiden, auch faktisch hinreichender Raum zur Entfaltung und Umsetzung belassen werden. Das erfordert nicht nur eine konsistente Ausgestaltung des Berufsrechts der Ärzte und der Apotheker, sondern möglicherweise auch Anpassungen des Betäubungsmittelrechts. Dies schließt nicht aus, die im Bereich des Arzneimittel- und des Betäubungsmittelrechts verankerten Elemente des Verbraucher- und des Missbrauchsschutzes aufrechtzuerhalten und in ein Schutzkonzept zur Suizidhilfe einzubinden.

All dies lässt unberührt, dass es eine Verpflichtung zur Suizidhilfe nicht geben darf.


Quelle: https://www.bundesverfassungsgericht.de ... 0-012.html

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Die Verfasssungswidrigkeit der Regelungen in § 217 StGB war offensichtlich. Näheres ergibt sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts! - Urteilsschrift >>> https://www.bundesverfassungsgericht.de ... 34715.html

L e i t s ä t z e
zum Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020
- 2 BvR 2347/15 - - 2 BvR 651/16 - - 2 BvR 1261/16 - - 2 BvR 1593/16 - - 2 BvR 2354/16 - - 2 BvR 2527/16 -


a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.
b) Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.
c) Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.
Auch staatliche Maßnahmen, die eine mittelbare oder faktische Wirkung entfalten, können Grundrechte beeinträchtigen und müssen daher von Verfassungs wegen hinreichend gerechtfertigt sein. Das in § 217 Abs. 1 StGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung macht es Suizidwilligen faktisch unmöglich, die von ihnen gewählte, geschäftsmäßig angebotene Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen.
a) Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ist am Maßstab strikter Verhältnismäßigkeit zu messen.
b) Bei der Zumutbarkeitsprüfung ist zu berücksichtigen, dass die Regelung der assistierten Selbsttötung sich in einem Spannungsfeld unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Schutzaspekte bewegt. Die Achtung vor dem grundlegenden, auch das eigene Lebensende umfassenden Selbstbestimmungsrecht desjenigen, der sich in eigener Verantwortung dazu entscheidet, sein Leben selbst zu beenden, und hierfür Unterstützung sucht, tritt in Kollision zu der Pflicht des Staates, die Autonomie Suizidwilliger und darüber auch das hohe Rechtsgut Leben zu schützen.
Der hohe Rang, den die Verfassung der Autonomie und dem Leben beimisst, ist grundsätzlich geeignet, deren effektiven präventiven Schutz auch mit Mitteln des Strafrechts zu rechtfertigen. Wenn die Rechtsordnung bestimmte, für die Autonomie gefährliche Formen der Suizidhilfe unter Strafe stellt, muss sie sicherstellen, dass trotz des Verbots im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet bleibt.
Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in § 217 Abs. 1 StGB verengt die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung in einem solchen Umfang, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit verbleibt.
Niemand kann verpflichtet werden, Suizidhilfe zu leisten.


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Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26.02.2020 und die daraus abzuleitenden Folgerungen werden beim nächsten Vortragstermin zur Patientenautonomie am Lebensende anzusprechen sein. Dazu wird wie folgt eingeladen:

Patientenautonomie am Lebensende - Vorsorgliche Verfügungen … Vortrag am 19.05.2020, 15.00 - 17.00 Uhr, Bürgerhaus Neuss-Erfttal, Bedburger Straße 61. - Referent: Werner Schell. - Eintritt frei. - Infos unter > http://www.wernerschell.de/forum/neu/vi ... =7&t=23504

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WernerSchell
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Recht auf Selbsttötung? - Der Deutsche Ethikrat diskutierte am 22.10.2020

Beitrag von WernerSchell » 23.10.2020, 07:08

Aus Forum:
https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... 92#p115692

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ÖFFENTLICHER TEIL DER PLENARSITZUNG DES DEUTSCHEN ETHIKRATES AM 22. OKTOBER 2020
Recht auf Selbsttötung?

Re-Live der öffentlichen Sitzung vom 22. Oktober 2020 - 4,07 Stunden > https://youtu.be/aoKoACAKs5A

Quelle: https://www.ethikrat.org/sitzungen/2020 ... sttoetung/

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Anmerkung:
Zum Thema Sterben, Sterbebegleitung und Assistenz wird seit längerer Zeit diskutiert. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu richtungsweisend geurteilt. Siehe insoweit > https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... =2&t=23485 / > https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... 86#p112486
Eine aktuelle Zusammenfassung der Beurteilung ist nachlesbar unter > https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... =2&t=23807


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Deutsches Ärzteblatt vom 22.10.2020:
Debatte im Ethikrat zur Sterbehilfe zeigt Meinungsbandbreite
Berlin – Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020, mit dem das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für verfassungswidrig erklärt wurde, sorgte in Fachkreisen und in der politischen Öffentlichkeit für intensive... [mehr] > http://170770.eu1.cleverreach.com//c/34 ... f61a7838ae

Ärzte Zeitung vom 22.10.2020:
Debatte im Ethikrat
Was heißt eigentlich „freies Sterben“?

Der Ethikrat hat offen über die Suizidbeihilfe diskutiert. Zentral war die Frage, warum ausgerechnet Ärzte mit dieser Aufgabe adressiert werden. Selbst ein neues Berufsbild, der Suizidassistent, ist in den Debattenraum eingezogen. … > https://www.aerztezeitung.de/Politik/Wa ... _TELEGRAMM

WernerSchell
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Assistenz bei einer selbstbestimmten Selbsttötung muss zulässig sein!

Beitrag von WernerSchell » 27.07.2022, 11:33

Assistenz bei einer selbstbestimmten Selbsttötung muss zulässig sein! - Eine entsprechende Regelung gehört in das Bürgerliche Gesetzbuch.

Texteinstellung am 26.07.2022 bei Facebook ( https://www.facebook.com/groehe ):
• Debatte um Suizidbeihilfe - Gröhe: Beim Thema Suizid Hand ausstrecken statt Zeigefinger erheben
Als Gesundheitsminister sprach sich Hermann Gröhe 2014 für das Verbot organisierter Selbsttötungshilfe aus. Heute unterstützt der Christdemokrat einen fraktionsübergreifenden Entwurf, der Regelungen zum assistieren Suizid im Strafrecht vorsieht. Hier erklärt er, warum.
… (weiter lesen unter) … > https://www.pro-medienmagazin.de/groehe ... TZ9d2duENg


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Dazu ergibt sich folgende Anmerkung:
Eine Regelung über die Zulässigkeit zur Assistenz bei einer selbstbestimmten Selbsttötung muss auf der Basis der dazu vom Bundesverfassungsgericht vom 26.02.2020 getroffenen Entscheidung (> https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... 85#p112486 ) ermöglicht werden, und zwar im Bürgerlichen Gesetzbuch und nicht im Strafgesetzbuch. Eine solche Regelung sollte sich am seinerzeit vorgelegten Modell von Peter Hintze und Carola Reinmann orientieren: „Der sterbende Mensch muss selbst bestimmen können, was er ertragen kann und dies mit dem Arzt seines Vertrauens besprechen können“, sagte seinerzeit zurecht der inzwischen verstorbene Peter Hintze. Das Positionspapier sollte die Basis sein für einen Antrag, der letzten Endes auch die gesellschaftlichen Mehrheiten widerspiegelt, erklärte Reimann. Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürgern wolle Selbstbestimmung bis zuletzt. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Zahlreiche Beiträge zum Thema unter
> https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... =2&t=23485
> https://www.wernerschell.de/forum/2/vie ... p?f=3&t=20

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Sterbewilliger Ehemann mit Insulin getötet - Ehefrau freigesprochen!

Beitrag von WernerSchell » 12.08.2022, 06:29

Sterbewilliger Ehemann mit Insulin getötet - Ehefrau freigesprochen!

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine Frau freigesprochen, die ihrem Mann nach dessen Einnahme tödlicher Medikamente zusätzlich eine Überdosis Insulin gespritzt hatte. Das Landgericht Stendal hatte die Frau zuvor wegen Tötung auf Verlangen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Die Berufung vor dem 6. Strafsenat des BGH war erfolgreich. Der Senat ent­schied ohne Rückverweis, weil auszuschließen sei, „dass ein neues Tatgericht Feststellungen treffen könnte, die einen Schuldspruch tragen würden“.

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Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 28.06.2022 - 6 StR 68/21 - > https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi- ... 14&anz=863

Die Leitsätze:
1. Die Abgrenzung strafbarer Tötung auf Verlangen von strafloser Beihilfe zum Suizid erfordert eine normative Betrachtung.
2. Der ohne Wissens- und Verantwortungsdefizit gefasste und erklärte Sterbewille führt zur situationsbezogenen Suspendierung der Einstandspflicht für das Leben des Ehegatten.


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Anmerkung:
Sterbewilliger Ehemann mit Insulin getötet - Ehefrau freigesprochen … > https://www.wernerschell.de/forum/2/vie ... ?f=3&t=517 - Die Entscheidung ist richtig. Sie entspricht dem Recht auf Selbstbestimmtes Sterben. - Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen (vgl. Urteil des BVerfG vom 26.02.2020 … > https://www.wernerschell.de/forum/2/vie ... p?f=3&t=20 ).

WernerSchell
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Stärkung von Suizidprävention und Selbstbestimmung - Stellungnahme des Deutschen Ethikrates

Beitrag von WernerSchell » 22.09.2022, 14:30

Übernahme aus Forum > https://www.wernerschell.de/forum/2/vie ... 6528#p6528 - Dort gibt es zahlreiche Beiträge zur Sterbehilfe und Selbstbestimmung …


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Ethikrat: Stärkung von Suizidprävention und Selbstbestimmung

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Am 22. September 2022 stellt der Deutsche Ethikrat in der Bundespressekonferenz in Berlin seine Stellungnahme „Suizid – Verantwortung, Prävention und Freiverantwortlichkeit“ vor. Damit verfolgt der Rat drei zentrale Anliegen: ein angemessenes Bewusstsein für die Vielschichtigkeit von Suizidalität schaffen, die Voraussetzungen freiverantwortlicher Suizidentscheidungen präzisieren und die unterschiedlich gelagerten Verantwortungen verschiedener Akteurinnen und Akteure im Kontext von Suizidentscheidungen und -prävention aufzeigen.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht am 26. Februar 2020 den Straftatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für verfassungswidrig und nichtig erklärt hatte, brandeten die schon lange bestehenden Debatten zum angemessenen Umgang mit suizidalen Krisen und dem umstrittenen Thema der Suizidassistenz und seiner Regulierung erneut auf.

Der Deutsche Ethikrat hat sich in der Vergangenheit bereits in zwei Ad-hoc-Empfehlungen mit Fragen der Suizidassistenz beschäftigt. Mit dieser Stellungnahme nimmt er die Thematik erneut auf und betont dabei vor allem die Bedeutung der Suizidprävention. Denn „wer sich damit beschäftigt, ob und gegebenenfalls wie die Beihilfe zum Suizid in Deutschland reguliert werden soll“, so die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Alena Buyx, „der muss gleichzeitig die Bedingungen und Verantwortlichkeiten einer echten und umfassenden Suizidprävention in den Blick nehmen.“

Der Deutsche Ethikrat veranschaulicht anhand ausgewählter Fallvignetten die personalen, sozialen und gesellschaftlichen Seiten von Suizidalität, um die Möglichkeiten und Grenzen des Einflusses auf freiverantwortliche Suizidentscheidungen sowie mögliche Interventionsformen auszuloten. Dabei wird deutlich, dass in aller Regel ein längerer Prozess innerer und äußerer Einengungen und Belastungen den Suizidgedanken vorausgeht. Dieser Prozess muss keineswegs notwendig und unmittelbar zur Suizidhandlung führen. Die Motive reichen dabei von psychischen und insbesondere depressiven Störungen sowie körperlichen Leiden über Isolation und Einsamkeit bis hin zur Lebenssattheit. Neben individuellen Faktoren nehmen auch die soziale und die gesellschaftliche Umwelt Einfluss auf Suizidgedanken und deren Entwicklung. Die Dynamik von Suizidgedanken und suizidalen Handlungen unterstreicht die Bedeutung einer Suizidprävention, die mögliche Risikofaktoren angemessen in den Blick nimmt.

Dennoch weist der Ethikrat darauf hin, dass eine freiverantwortliche Entscheidung rechtlich und ethisch auch dann als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts zu respektieren ist, wenn es um die Beendigung des eigenen Lebens geht. Aufgrund ihrer Irreversibilität müssen freiverantwortliche Suizidentscheidungen jedoch einem besonders hohen Maß an Selbstbestimmung genügen. Das setzt eine hinreichende Kenntnis der entscheidungserheblichen Gesichtspunkte und die Fähigkeit voraus, diese Punkte ausreichend und realitätsbezogen zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ebenso braucht es eine hinreichende Überlegtheit, Festigkeit und Eigenständigkeit der Entscheidung. Im Ethikrat werden verschiedene Auffassungen dazu vertreten, wann genau ein hinreichendes Maß an Selbstbestimmung erreicht ist und wie dies gegebenenfalls sichergestellt werden kann. Einigkeit besteht jedoch darin, dass die Anforderungen an die Freiverantwortlichkeit der betroffenen Person nicht den Verfügungsspielraum über ihr Leben nehmen dürfen. Auch freiverantwortliche Suizidentscheidungen resultieren jedoch überwiegend aus Lebenslagen, in denen die Verwirklichung von Grundbedürfnissen massiv erschwert ist. „Das auch in solchen Fällen zu respektierende Selbstbestimmungsrecht“, so erklärt der Sprecher der ratsinternen Arbeitsgruppe Helmut Frister, „entlastet Staat und Gesellschaft in keiner Weise von der Verantwortung, so weit wie möglich dafür Sorge zu tragen, dass Menschen nicht in Situationen geraten und verbleiben, in denen sie sich genötigt sehen, den Tod als vermeintlich kleineres Übel dem Leben vorzuziehen.“

„Will man betroffenen Menschen inmitten einer psychosozial verdichteten suizidalen Lebenssituation wirklich eine selbstbestimmte Lebensführung ermöglichen – und das muss der Anspruch sein –, dann stehen auf verschiedenen Ebenen viele Akteurinnen und Akteure in großer Verantwortung“, betont der stellvertretende Sprecher der Arbeitsgruppe Andreas Lob-Hüdepohl. Auf der Ebene professioneller und alltagsweltlicher Einzelpersonen liegt die Letztverantwortung bei der suizidalen Person. Allerdings tragen auch An- und Zugehörige sowie Fachkräfte Verantwortung dafür, Perspektiven auf alternative Handlungs- und Entscheidungsoptionen zu eröffnen und somit freiverantwortliche Entscheidungen zu ermöglichen. Die Verantwortung von Einrichtungen sieht der Ethikrat vor allem darin, ihre Angebote konsequent an den Zielen der Suizidprävention zu orientieren und Lebensbindungen zu stärken. Sollte sich allerdings der Suizidwunsch einer Person zu einem festen, freiverantwortlichen Willen verdichten, kann Suizidassistenz angeboten werden. Einrichtungen sollten ihr Leitbild um Überlegungen zur Sterbekultur weiterentwickeln. So machen sie transparent, ob und gegebenenfalls wie in ihrem Haus mit Suizidassistenz umgegangen wird. Gesamtgesellschaftliche und staatliche Institutionen stehen demgegenüber vor allem in der Verantwortung, eine umfassende Suizidprävention zu ermöglichen – über die gesamte Lebensspanne, in allen relevanten Lebensbereichen, zeitnah und flächendeckend. Nur wenn alle beteiligten Akteurinnen und Akteure sich vernetzen, kann es gelingen, Personen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen und den anspruchsvollen Anforderungen an freiverantwortliche Entscheidungen Rechnung zu tragen.


Der vollständige Wortlaut der Stellungnahme „Suizid – Verantwortung, Prävention und Freiverantwortlichkeit“ ist abrufbar unter: > https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publ ... suizid.pdf

Quelle: Pressemitteilung vom 22.09.2022
Ulrike Florian Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutscher Ethikrat
https://idw-online.de/de/news801664


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Dazu die Info in den sozialen Medien:

Der Deutsche Ethikrat hat sich zur Stärkung von Suizidprävention und Selbstbestimmung geäußert und seine Stellungnahme „Suizid – Verantwortung, Prävention und Freiverantwortlichkeit“ vorgestellt. Damit verfolgt der Rat drei zentrale Anliegen: ein angemessenes Bewusstsein für die Vielschichtigkeit von Suizidalität schaffen, die Voraussetzungen freiverantwortlicher Suizidentscheidungen präzisieren und die unterschiedlich gelagerten Verantwortungen verschiedener Akteurinnen und Akteure im Kontext von Suizidentscheidungen und -prävention aufzeigen. … Näheres hier > https://www.wernerschell.de/forum/2/vie ... 6528#p6528 - (Statement angefügt zahlreichen weiteren Beiträge zur Sterbehilfe und Selbstbestimmung …).

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Mordkommission ermittelt nach erweitertem Suizidversuch

Beitrag von WernerSchell » 27.09.2022, 16:33

POL-NE: Mordkommission ermittelt nach erweitertem Suizidversuch

Neuss (ots) - Gemeinsame Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Düsseldorf und der Polizei.

Am Sonntagabend (25.09.) erhielt die Polizei gegen 21:45 Uhr Kenntnis von einer Gewalttat im familiären Umfeld. In einer Wohnung eines Mehrfamilienhauses in Neuss konnte eine schwer verletzte Frau angetroffen werden. Der zurückkehrende Ehemann hatte diese sowie die beiden gemeinsamen Kinder schwer verletzt vorgefunden und die Polizei informiert. Nach ersten vorliegenden Erkenntnissen verletzte die Frau ihre Kinder und dann sich selbst mit einem Messer.

Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf wertet den Vorfall als versuchtes Tötungsdelikt. Eine Mordkommission unter Leitung des Polizeipräsidiums Düsseldorf ermittelt gerade zu den Hintergründen der Tat.

Die unter Tatverdacht stehende Frau wird zum jetzigen Zeitpunkt noch intensivmedizinisch versorgt. Die Kinder befinden sich nicht mehr in akuter Lebensgefahr.

Presseanfragen zum Ermittlungsverfahren sind an die Staatsanwaltschaft Düsseldorf zu richten.

Rückfragen von Pressevertretern bitte an:

Der Landrat des
Rhein-Kreises Neuss als
Kreispolizeibehörde
-Pressestelle-
Jülicher Landstraße 178
41464 Neuss
Telefon: 02131/300-14000
02131/300-14011
02131/300-14013
02131/300-14014
Telefax: 02131/300-14009
Mail: pressestelle.neuss@polizei.nrw.de
Web: https://rhein-kreis-neuss.polizei.nrw

Weiteres Material: http://presseportal.de/blaulicht/pm/65851/5331278
OTS: Kreispolizeibehörde Rhein-Kreis Neuss

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Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung

Beitrag von WernerSchell » 13.06.2023, 18:37

Aus Forum: https://www.wernerschell.de/forum/2/vie ... 9119#p9119


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Entwurf eines Gesetzes zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung sowie zur Änderung weiterer Gesetze

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Heute, am 13.06.2023, haben wir unseren fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung veröffentlicht. Gemeinsam mit den Mitunterzeichner:innen haben wir den Entwurf bei der Bundespressekonferenz vorgestellt.
Hier findet Ihr/ finden Sie den Gesetzentwurf > https://www.renate-kuenast.de/images/Su ... .06.23.pdf
und den Entschließungsantrag > https://www.renate-kuenast.de/images/EA ... nehmen.pdf


Quelle: Mitteilung vom 13.06.2023 > https://www.renate-kuenast.de/weitere-t ... er-gesetze

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Die Initiative für ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben und zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung wird von Pro Pflege- Selbsthilfenetzwerk begrüßt! - Es wird bei den entsprechenden Regelungen nicht infrage gestellt, dass Töten auf Verlangen weiter strafrechtlich relevant bleibt. Im Übrigen sollte immer der Palliativ- und Hospizarbeit Vorrang eingeräumt werden.

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Aufgrund meiner Buchveröffentlichung "Sterbebegleitung und Sterbehilfe - Gesetze, Rechtsprechung, Deklarationen (Erklärungen), Richtlinien, Stellungnahmen (Statements)" (> https://www.wernerschell.de/forum/2/vie ... ?f=3&t=604 ) und zahlreichen Zeitschriftenartikeln bin ich mit den vielfältigen Fragestellungen eines "guten Sterbens" vertraut und kann daher die dem Grundgesetz gerecht werdenden Regelungen zustimmen!

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Zum Thema "Sterbehilfe - Politiker blockieren, Patienten verzweifeln - Filmbeiträge informieren!" wurden im Forum - Archiv (bis 2020) zahlreiche Beiträge eingestellt: > https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... 17#p112485 / > https://www.wernerschell.de/forum/neu/v ... 17#p111866 - Die Informationen zu diesem Thema werden hier - im Forum - Beiträge ab 2021 - fortgeführt! > https://www.wernerschell.de/forum/2/vie ... p?f=3&t=20


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Deutsches Ärzteblatt vom 13.06.2023:
Suizidbeihilfe: Liberale Gesetzentwürfe fusioniert
Berlin – Die Debatte um neue gesetzliche Regelungen zur Suizidbeihilfe hat wieder Fahrt aufgenommen. Die Gruppen um die Grünen-Politikerin Renate Künast und die FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr, die sich in den vergangenen beiden Jahren für liberale Regelungen einsetzten, haben jetzt ihre Gesetzes¬pläne zusammengeführt. Damit wollen sie bei einer Entscheidung im Bundestag ihre Chancen gegenüber den Anhängern einer restriktiveren Linie um den SPD-Politiker Lars Castellucci erhöhen.
Eine namentliche Abstimmung ohne Fraktionszwang könnte noch in der ersten Juliwoche – der letzten Parlamentswoche vor der Sommerpause – erfolgen, bei der dem Parlament ab sofort nur noch zwei statt drei Vorschläge vorliegen.
Die interfraktionellen Abgeordnetengruppen um Helling-Plahr und Künast stellten heute ihren gemeinsamen Entwurf eines „Gesetzes zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung“ sowie einen Entschließungsantrag zur Suizidprävention vor. Die Gruppen habe eine Grundhaltung geeint, nämlich der Respekt vor dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben, sagte Helling-Plahr.
„Im Mittelpunkt unseres Entwurfes steht der Einzelne, der mit seinem Sterbewunsch nicht länger allein gelassen werden soll. Wir wollen allen Beteiligten einerseits Rechtssicherheit bieten sowie andererseits ein niedrigschwelliges Beratungsangebot zur Seite stellen“, so die FDP-Politikerin, die bereits in der vergangenen Wahlperiode gemeinsam mit Petra Sitte (Linke) und Helge Lindh (SPD) einen Entwurf für ein „Suizidhilfegesetz“ mit einer Rege¬lung außerhalb des Strafrechtes in das Parlament eingebracht hatte.
… (weiter lesen unter) > https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/ ... 7ac2e8834e


Ärztezeitung vom 13.06.2023:
Ärztliche Sterbehilfe
Einigung bei gemeinsamen Gesetzesvorstoß zur Suizidassistenz

Aus zwei mach einen: Die beiden Gruppen, die eine liberale Lösung bei der Neuregelung der Suizidhilfe anstreben, legen einen geeinten Entwurf vor. Ärzte sind demnach nicht zur Suizidhilfe verpflichtet. ... (weiter lesen unter) ... > https://nlcontent.aerztezeitung.de/redi ... 2CE3C2E6BB

WernerSchell
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Suizidhilfe: Neuer Gesetzentwurf Helling-Plahr/Künast

Beitrag von WernerSchell » 05.07.2023, 09:46

Suizidhilfe: Neuer Gesetzentwurf Helling-Plahr/Künast
Recht/Ausschuss

Berlin: (hib/SCR) Der Bundestag will am Donnerstag, 6. Juli 2023, über eine Neuregelung der Suizidhilfe entscheiden. Zur Abstimmung stehen nunmehr zwei Gesetzentwürfe von fraktionsübergreifenden Gruppen, die heute den Rechtsausschuss passierten. Zwei der ursprünglich drei Entwürfe - den Entwurf der Gruppe um die Abgeordnete Katrin Helling-Plahr (20/2332 > https://dserver.bundestag.de/btd/20/023/2002332.pdf) und den Entwurf der Gruppe um die Abgeordnete Renate Künast (20/2293 > https://dserver.bundestag.de/btd/20/022/2002293.pdf ) - legte der Ausschuss auf Antrag der beiden Gruppen zusammen. Der dritte Entwurf einer Gruppe um den Abgeordneten Lars Castellucci (20/904 > https://dserver.bundestag.de/btd/20/009/2000904.pdf ) passierte das Gremium in geänderter Fassung (siehe separate Meldung).

Beide Entwürfe eint, dass mit ihnen Voraussetzungen geschaffen werden sollen, unter denen Suizidwillige Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten erhalten können. Dazu sind unter anderem Änderungen im Betäubungsmittelgesetz vorgesehen. Beide Entwürfe sehen zudem eine Regulierung der Werbung für Hilfe zur Selbsttötung im Heilmittelwerbegesetz sowie jeweils eine Evaluierung vor.

Der Castellucci-Entwurf strebt eine Regelung im Strafgesetzbuch an, die geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe stellt - und Ausnahmen normiert, unter denen Förderungshandlungen nicht rechtswidrig sind.

Der Entwurf der Gruppe Helling-Plahr/Künast sieht im Kern ein neues Suizidhilfegesetz vor, dass das Recht auf Hilfe zur Selbsttötung und auf Unterstützung von suizidwilligen Personen normiert. Wesentliche Unterschiede der Entwürfe betreffen die Form der notwendigen Untersuchungen beziehungsweise Beratung als Voraussetzung für die Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments sowie Warte- und Höchstfristen für Untersuchungs- und Beratungstermine sowie die Verschreibung des Medikaments. Beide Entwürfe sehen unter bestimmten Voraussetzungen Härtefallregelungen vor.

Hintergrund der avisierten Neuregelung ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 (2 BvR 2347/15). Das Gericht hatte das 2015 beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärt und betont, dass die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, - als Ausdruck des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben - auch die Freiheit umfasse, „hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen“.

Entwurf der Gruppe Helling-Plahr/Künast im Detail

Der Entwurf der Gruppe Helling-Plahr/Künast sieht als Kern ein neues „Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung“ (Suzidhilfegesetz) vor. Danach soll mit diesem Gesetz normiert werden, dass „jeder, der aus autonom gebildetem, freiem Willen sein Leben eigenhändig beenden möchte“, das Recht hat, „hierbei Hilfe in Anspruch zu nehmen“. Zudem soll auch das „Recht auf Hilfeleistung“ festgeschrieben werden. Die Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments durch einen Arzt oder eine Ärztin setzt laut Entwurf grundsätzlich eine Beratung voraus. Zudem ist eine Härtefallregelung vorgesehen und eine Regelung, die eine Abgabe ohne Verschreibung durch einen Arzt oder eine Ärztin vorsieht.

Eine Pflicht zur Hilfe zur Selbsttötung soll laut Entwurf ausgeschlossen werden, ebenso soll es nicht möglich sein, einer Person „aufgrund ihrer Berufszugehörigkeit“ die Mitwirkung beziehungsweise die Nicht-Mitwirkung an der Hilfe zur Selbsttötung zu untersagen.

Laut Entwurf soll das Gesetz „eine autonome und vollinformierte Entscheidungsfindung suizidwilliger Personen sicherstellen“. Wesentlich zur Feststellung des autonom gebildeten, freien Willens ist eine Beratung. Laut Entwurf soll ein Recht, „sich zu Fragen der Hilfe zur Selbsttötung beraten zu lassen“, festgeschrieben werden. Die Beratung ist demnach „ergebnisoffen zu führen, darf nicht bevormunden und muss vom Grundwert jedes Menschenlebens ausgehen“. In der Beratung sollen „die für eine Entscheidung für oder gegen eine Selbsttötung erheblichen Gesichtspunkte“ vermittelt werden, unter anderem „die Bedeutung und die Tragweite der Selbsttötung“, Handlungsalternativen sowie „die Folgen einer Selbsttötung und eines fehlgeschlagenen Selbsttötungsversuches auch für das nähere persönliche und familiäre Umfeld“. Zu der Beratungen können demnach im Einvernehmen weitere Personen, beispielsweise Ärztinnen oder Psychologen, hinzugezogen werden. Keine Beratung soll laut Entwurf von einer Person vorgenommen werden dürfen, „die an einer späteren Hilfe zur Selbsttötung beteiligt ist“.

Der Entwurf sieht vor, dass die Länder für ein ausreichendes Angebot an Beratungsstellen Sorge zu tragen haben. Beratungsstellen bedürfen demnach einer staatlichen Anerkennung, auch freie Träger und Ärztinnen und Ärzte sollen anerkennungsfähig sein. Zu den Anerkennungsvoraussetzungen soll unter anderem zählen, dass die Beratungsstelle über „hinreichend persönlich und fachlich qualifiziertes und der Zahl nach ausreichendes Personal verfügt“. Ferner soll eine Beratungsstelle „mit keiner Einrichtung, in der Hilfe zur Selbsttötung geleistet wird, derart organisatorisch oder durch wirtschaftliche Interessen verbunden“ sein, „dass hiernach ein materielles Interesse der Beratungseinrichtung an der Durchführung von Hilfe zur Selbsttötung nicht auszuschließen ist“. Für einen Übergangszeitraum - längsten bis zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes - soll jeder Arzt oder Ärztin eine Beratung ohne Anerkennung vornehmen dürfen.

Die Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments durch einen Arzt oder eine Ärztin setzt laut Entwurf eine Beratung in einer anerkannten Beratungsstelle voraus, zudem soll der verschreibende Arzt oder die Ärztin verpflichtet sein, „die suizidwillige Person mündlich und in verständlicher Form über sämtliche für die Selbsttötung wesentlichen medizinischen Umstände aufzuklären“. Bei erkrankten suizidwilligen Personen ist zudem „auch auf Behandlungsmöglichkeiten und Möglichkeiten der Palliativmedizin hinzuweisen“. Die Verschreibung soll dann möglich sein, wenn die suizidwillige Person sich höchsten zwölf Wochen und mindestens drei Wochen vorher hat beraten lassen.

Der Entwurf sieht zudem eine Härtefallregelung vor, die Ärztinnen und Ärzten ermöglicht, auf die Vorlage einer Beratungsbescheinigung in besonderen Härtefällen zu verzichten. Diese Einschätzung soll laut Entwurf von einer weiteren Ärztin oder Arzt bestätigt werden müssen.
Zudem sieht der Entwurf vor, dass in Ausnahmefällen auch eine nach Landesrecht zuständig Stelle einer suizidwilligen Person „eine einer ärztlichen Verschreibung gleichstehende Erlaubnis zum Erwerb eines Arznei- oder Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung“ erteilen muss, wenn die Voraussetzungen für die ärztliche Verschreibung vorliegen und die suizidwillige Person glaubhaft macht, dass eine ärztliche Verschreibung „nicht in zumutbarer Weise zu erlangen ist“.

In einem Nebenaspekt sieht der Entwurf eine strafrechtliche Regelung vor. Die strafbare Verletzung von Privatgeheimnissen (Paragraf 203 Strafgesetzbuch) soll auch im Kontext der im Entwurf vorgesehen Beratungsstellen einschlägig sein.

Die Zusammenlegung der Entwürfe wird laut einer im Ausschuss vorgelegten Unterstützungsliste von 166 Abgeordneten aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD unterstützt. Darunter sind unter anderem Katrin Helling-Plahr (FDP), Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), Helge Lindh (SPD) und Petra Sitte (Die Linke).

Die Anhörung zu den ursprünglich drei Gesetzentwürfen im Video: https://www.bundestag.de/dokumente/text ... cht-917960
Die hib-Meldung zum ursprünglichen Entwurf der Gruppe Helling-Plahr: https://www.bundestag.de/presse/hib/kur ... gen-900096
Die hib-Meldung zum ursprünglichen Entwurf der Gruppe Künast: https://www.bundestag.de/presse/hib/kur ... gen-899724

Quelle: Mitteilung vom 05.07.2023
Deutscher Bundestag
Parlamentsnachrichten
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
Telefon: +49 30 227-35642, Fax: +49 30 227-36001
E-Mail: vorzimmer.ik5@bundestag.de

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Assistierter Suizid muss in engen Grenzen möglich sein.

Beitrag von WernerSchell » 09.07.2023, 16:39

Bild Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk
Unabhängige und gemeinnützige Interessenvertretung
für hilfe- und pflegebedürftige Menschen in Deutschland
Harffer Straße 59 - 41469 Neuss


09.07.2023


Assistierter Suizid muss in engen Grenzen möglich sein -
Suizidprävention und Stärkung der Palliativmedizin / Hospizarbeit sind aber vorrangig wichtig!



Assistierter Suizid muss möglich sein 09072023.PNG
Assistierter Suizid muss möglich sein 09072023.PNG (536.55 KiB) 4665 mal betrachtet


Der Deutsche Bundestag hat am 06.07.2023 über zwei Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Suizidbeihilfe abgestimmt. Keiner der beiden vorliegenden Gesetzentwürfe hat eine Mehrheit gefunden. Die Bemühungen, zu einer im Sinne der Patientenselbstbestimmung passenden Assistenzregelung zu kommen, dürfen aber nicht aufgegeben werden. Dies auch deshalb nicht, weil das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Februar 2020 eine entsprechende Regelung eingefordert hat. Das BVerfG hat seinerzeit entschieden, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch das Recht umfasst, dabei die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Eine bis dahin geltende strafrechtliche Regelung, die auch die organisierte Suizidassistenz durch Sterbehilfeorganisationen verboten hatte, erklärte das BVerfG für verfassungswidrig.
Seitdem wird im Bundestag über eine mögliche Folgeregelung diskutiert. Im Juni 2023 hatten zunächst die Abgeordnetengruppen um Renate Künast und Katrin Helling-Plahr einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur Suizidassistenz sowie einen Entschließungsantrag zur Suizidprävention anstelle von zwei früheren Gesetzentwürfen vorgelegt. Die Abgeordnetengruppe um Lars Castellucci hatte ihren bisherigen Gesetzentwurf zur Suizidassistenz noch einmal überarbeitet. Zwischenzeitlich hatten sich u.a. auch die Bundesärztekammer, das Nationale Suizidpräventionsprogramm, die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde und die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin für eine weitere und tiefergehende Beratung der Gesetzentwürfe ausgesprochen.
Trotz der verfehlten Mehrheitsbeschlüsse für die zwei Gesetzesinitiativen müssen Menschen mit Suizidwünschen ernst genommen und angenommen werden. Daher bleibt die Pflicht des Bundestages bestehen, alsbald eine Regelung zu gestalten, die der Entscheidung des BVerfG und damit den grundgesetzlichen Vorgaben gerecht wird. Die Sterbehilfe darf in Deutschland nicht weiter eine rechtliche Grauzone sein.
Neben den Entwürfen zur Suizidassistenz diskutierte der Bundestag auch über einen fraktionsübergreifenden Entschließungsantrag zur Suizidprävention, der schließlich eine breite Mehrheit fand. Die genaue Ausgestaltung der Suizidprävention ist allerdings noch offen. Man darf nun erwarten, dass die Bundesregierung die Suizidprävention und Palliativversorgung deutlich besser aufstellt als bisher. Entsprechende Vorschläge liegen offensichtlich bereits vor.

Werner Schell

Diplom-Verwaltungswirt - Oberamtsrat a.D. - Buchautor/Journalist - Dozent für Pfle-gerecht
Mitglied im Verband der Medizin- und Wissenschaftsjournalisten e. V.- https://www.vmwj.de
https://www.wernerschell.de - Pflegerecht und Gesundheitswesen
Infos auch bei https://www.facebook.com/werner.schell.7 bzw. https://twitter.com/SchellWerner


Siehe auch > https://www.wernerschell.de/forum/2/vie ... 9414#p9414

WernerSchell
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Keine Erlaubnis zur Einfuhr und Abgabe eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung

Beitrag von WernerSchell » 10.08.2023, 06:31

Oberverwaltungsgericht Münster

Keine Erlaubnis zur Einfuhr und Abgabe eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung

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Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist nicht verpflichtet, einem Arzt vorläufig eine Erlaubnis unter anderem für die Einfuhr von Natrium-Pento­barbital aus der Schweiz nach Deutschland und die Abgabe dieses Betäubungsmit­tels an seine Patienten zum Zweck der Selbsttötung zu erteilen. Dies hat das Ober­verwaltungsgericht mit heute bekannt gegebenem Eilbeschluss vom 08.08.2023 ent­schieden und damit eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln im Ergebnis bestätigt.

Der Antragsteller ist Leiter des Ärzteteams des Vereins Sterbehilfe in Hamburg. Er möchte seinen Patienten, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen, das Betäubungs­mittel Natrium-Pentobarbital zu ihrer eigenen Verfügung überlassen. Da das Mittel in Deutschland derzeit nicht über Apotheken bezogen werden kann, will er es mit Hilfe der Geschäftsstelle Zürich des Vereins aus der Schweiz nach Deutschland einfüh­ren. Das Verwaltungsgericht Köln lehnte den entsprechenden Eilantrag ab, die Be­schwerde des Arztes hatte beim Oberverwaltungsgericht keinen Erfolg.

Der 9. Senat hat zur Begründung ausgeführt: Der Erteilung einer Erlaubnis an den Antragsteller zur Abgabe von Natrium-Pentobarbital an seine Patienten steht der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) entge­gen. Ärzte sind nach der Konzeption des Gesetzes nicht berechtigt, ihren Patienten Betäubungsmittel abzugeben, d. h. ihnen Betäubungsmittel zur freien Verfügung zu überlassen. Der Verkehr mit Betäubungsmitteln durch einen Arzt im Verhältnis zu seinen Patienten ist in § 13 Abs. 1 BtMG geregelt. Hiernach darf der Arzt Betäu­bungsmittel jedoch nur verschreiben, verabreichen oder seinen Patienten zum unmit­telbaren Verbrauch überlassen. Allen drei Handlungsformen ist gemeinsam, dass der Patient unmittelbar keine eigene Verfügungsgewalt über das Betäubungsmittel er­langt. Zwar kann der Patient aufgrund einer ärztlichen Verschreibung Betäubungs­mittel zur freien Verfügung erhalten. Die Abgabe eines verschriebenen Betäubungs­mittels an die Patienten ist nach der abschließenden gesetzlichen Regelung des § 13 Abs. 2 BtMG jedoch zur Vermeidung eines Betäubungsmittelmissbrauchs allein Apo­theken vorbehalten.

Der Beschluss ist unanfechtbar.
Aktenzeichen: 9 B 194/23 (I. Instanz: VG Köln ­7 L 1410/22)


Weitere Hinweise:

Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz - BtMG)

§ 5 Versagung der Erlaubnis
(1) Die Erlaubnis nach § 3 ist zu versagen, wenn
6. die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Ge­setzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Missbrauch von Betäubungsmitteln oder die missbräuchliche Her­stellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist.

§ 13 Verschreibung und Abgabe auf Verschreibung
(1) Die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nur von Ärzten, Zahnärz­ten und Tierärzten und nur dann verschrieben oder im Rahmen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung einschließlich der ärztlichen Behand­lung einer Betäubungsmittelabhängigkeit verabreicht oder einem anderen zum unmit­telbaren Verbrauch oder nach Absatz 1a Satz 1 überlassen werden, wenn ihre An­wendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper begründet ist. (…)
(2) Die nach Absatz 1 verschriebenen Betäubungsmittel dürfen nur im Rahmen des Betriebs einer Apotheke und gegen Vorlage der Verschreibung abgegeben werden. (...)


Quelle: Pressemitteilung des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 09.08.2023
> https://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/ ... /index.php

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